KLASSIK
CDs |
NEUES AUS
DER
MUSIKWELT
Evelyn
Herlitzius, Anne Schwanew
ilms, Waltraud
Meier, René Pape, Frank van
Aken, Nadine Secunde
u
. a., Staatskapelle Dresden, Christian Thielemann
DG/Universal 2
CDs_____________(104;)
Für den eruptiven Racheschrei
seiner Oper „Elektra“ bemühte
Richard Strauss ein Riesenorches-
ter, bei dem sich in einem normalen
Orchestergraben fast zehn Dutzend
Musiker gegenseitig auf die Füße
traten. Allerdings schien der Kom-
ponist dabei auch ein schlechtes
Gewissen gehabt zu haben; über-
liefert ist seine Bemerkung auf ei-
ner „Elektra“-Probe: „Meine Her-
ren, spielen Sie am Abend recht lei-
se - es ist ohnehin so laut kompo-
niert.“ Freilich wird oft übersehen,
dass Strauss eine Vielzahl von Piani
in die Partitur schrieb - bloß hört
man diese in den meisten Auffüh-
rungen kaum, weil sich die Dirigen-
ten eher an einer klanggewaltigen
Hysterie-Gestik berauschen.
Innigen Dank an Christian Thie-
lemann, dass er dieser Versuchung
in dieser Live-Aufnahme aus Dres-
den meist nur da nachgibt, wo dies
dramaturgisch auch gefordert ist
- dort freilich mit Nachdruck. An-
sonsten sagt er sich von Überwäl-
tigungsposen weitgehend los. Er
hört sorgfältig hin, noch entschie-
dener als in seiner in dieser Hin-
sicht bereits exemplarischen (und
auf DVD nachprüfbaren) Interpre-
tation des Werks vor ein paar Jah-
ren in Baden-Baden mit den Münch-
ner Philharmonikern. Selten nimmt
man so viele Details wahr wie hier:
die an Debussy gemahnende Klang-
farbenregie, die feinste Seelen-
schwingungen hörbar macht. Es do-
miniert ein in der Dynamik genau
gestaffelter, in den Schichtungen
deutlich determinierter Klang. Und
die Staatskapelle Dresden weiß,
was sie dem Genius Loci auch
105
Jahre nach der Uraufführung des
Werks schuldig ist; sie spielt ih-
re hohe Strauss-Kompetenz ent-
schieden aus.
Von Thielemanns differenzierter
Exegese profitieren natürlich die
Sänger. Hinsichtlich von Stimm-
schönheit und Gesangstechnik
haben sich die Geschmäcker bei
Evelyn Herlitzius immer geschie-
den, doch mit der Elektra scheint
sie, wie es in einer Rezension der
Dresdner Aufführung hieß, die
„Rolle ihres Lebens“ gefunden zu
haben. Die für sie so typischen Ei-
genschaften, die Bereitschaft zur
Entäußerung, das unbedingte Auf-
gehen in der Rolle nehmen auch
hier für sie ein, selbst wenn auf
der Hörbühne ihr schonungsloser
körperlicher Einsatz nicht adäquat
zur Wirkung kommen kann. Freilich
singt sie grosso modo mit Stau-
druck, was ihre Stimme in den ly-
rischen Passagen, etwa dem Mo-
ment des Wiedererkennens ihres
Bruders, etwas hohl und farbarm
klingen lässt.
Hinsichtlich der Linienführung ist
Anne Schwanewilms, die Elektras
Schwester Chrysothemis verkör-
pert, ihr überlegen, doch wirkt die
Sängerin im Ausdruck hier recht
distanziert und gezügelt. Waltraud
Meier als Klytämnestra zeigt er-
neut, welch differenzierte Darstel-
lerin sie ist. Fernab der üblichen
plakativen Klischees liefert sie in
genauester Textauslotung die klu-
ge, psychologisch genaue Studie
einer an ihrer Schuld zerbrechen-
den Frau. René Pape ist ein volltö-
nender, viriler Orest, dem man frei-
lich gerne ein bisschen mehr Ge-
brochenheit abnehmen würde.
Frank van Aken erfüllt seine Auf-
gabe als ahnungsloses Horror-Op-
fer Aegisth überzeugend.
In seiner Exegese der „Elektra“
vermag Christian Thielemann zu-
dem das gewisse Augenzwinkern
einzubringen, von dem er einmal
in einem Interview sprach. Mit die-
ser Lesart erreicht er auch eine Dis-
tanz zum Geschehen, die Strauss
durchaus adäquat ist. Denn mit sei-
nen Helden und Heldinnen, ob Sa-
lome, ob Elektra in der Oper, ob Till
Eulenspiegel, ob Don Quixote in
den imaginären Szenen der sinfo-
nischen Dichtung, bricht der jünge-
re Richard Strauss das romantische
Heldenbild nachdrücklich auf, cha-
rakterisiert die Figuren durch Täu-
schung, Verzeichnung, Selbstbe-
trug; schafft also Charaktere, die
auch in einem Kuckucksnest ihr
Heim finden mögen. Was in Thie-
lemanns Interpretation durchaus
mitschwingt.
Gerhard Persché
MUSIK ★ ★ ★ ★
KLANG ★ ★ ★ ★ ★
Robert Schubert
LIEDER
Ian
Bostridge, Julius Drake
W
igmore Hall live/HM
CD
(74')
Er kann lächeln, doch in der Re-
gel bietet Ian Bostridge seiner Um-
welt einen ernsten Gesichtsaus-
druck wie auf dem CD-Cover sei-
nes Liederabends in der Londo-
ner Wigmore Hall vom
13
.
9
.
2013
.
Auf dem Konzertpodium vermag
sich Bostridge nie ganz im Zaume
zu halten, seine „Wanderungen“
haben schon so manchen Hörer
irritiert. Nun unterwirft sich die-
ser nachdenkliche, nachdenken-
de Sänger generell keinem vorder-
gründigen Schönheitsgesetz. Sin-
gen hat für ihn existenziellen Be-
kenntnischarakter. Die Frage „Sind
es Schmerzen, sind es Freuden,
die durch meinen Busen zieh’n“
(Brahms’ „Magelone“) würde er
zweifelsohne stets in die tragische
Richtung entscheiden.
Bereits das erste Lied („Der
Strom“) ist ein Bekenntnis: „Nim-
mer froh, nimmer heiter“. In „Vio-
la“, einer fast viertelstündigen Sze-
ne in strophischer Form aus dem
Jahre
1823
, stellt sich Schubert zu-
dem ungeschminkt seiner Syphi-
lis-Erkrankung. Schuberts Text spie-
gelt die persönliche Verzweiflung
des Komponisten, welcher trösten-
de Liebe vergeblich herbeisehnt.
Auch „Abendstern“ vom Dichter Jo-
hann Baptist Mayrhofer könnte ein
Abbild von Schuberts Situation sein
(„Trauernd still daheim“).
Ian Bostridges Interpretationen
lassen dunkle Zwischentöne auf-
scheinen, welche Schuberts emo-
tionale Instabilität intensivieren.
Lupenreiner Belcanto wäre da nur
von Schaden. Julius Drake bringt
am Klavier eine Fülle von Klang-
wundern zuwege. Sänger und Pia-
nist, seit Jahren miteinander ver-
bunden, entführen in ein Reich
angstgeprägter Zwischentöne. Bei
diesen Schubert-Interpretationen
vermag man sich nicht einfach zu-
rückzulehnen.
Christoph Zimmermann
MUSIK ★ ★ ★ ★ ★
KLANG ★ ★ ★ ★ ★ ___________
Ludwig van Beethoven
m
QUARTETTE OP. 18,4, OP. 59,1 U .A .
Quartetto di Cremona
Audite/Edel SACD
(78')
Eine gute Balance aus Gefühl und
Verstand, aus geistiger Durchdrin-
gung und Leidenschaft gehört zu
den wichtigsten Schlüsseln für ei-
ne zwingende Interpretation. Das
Quartetto di Cremona hat ihn ge-
funden, wie es auch die dritte Fol-
ge ihrer Einspielung der Beetho-
ven-Streichquartette wieder be-
legt. Auffällig sind etwa die per-
fekt getimten Zäsuren innerhalb
der Sätze, mit denen das Ensemb-
le die Partitur in ihre Sinnabschnit-
te gliedert. Diese analytische Klar-
sicht paart sich mit einem großen
Reichtum an Farben, Charakteren
und Emotionen.
Nehmen wir etwa das Adagio aus
op.
59
,
1
, in dem die Streicher ei-
nen wehmutsvollen Gesang anstim-
men: voller Herzenswärme und ed-
lem Klang, aber ganz intim. Trotz
der mitunter orchestralen Anmu-
tung der Musik - mit der Beetho-
ven die Gattung Streichquartett an
der Wende zum
19
. Jahrhundert aus
der privaten Kammer in den öffent-
lichen Konzertsaal führte - wahrt
das Quartetto di Cremona einen in-
nigen Ton und spielt fein nuanciert.
Auch im frühen op.
18
,
4
: Der Mittel-
teil des Andante lebt etwa von sub-
tilen Farbunterschieden zwischen
einem weichen und einem etwas
kernigeren Piano.
Viel schroffer dagegen die Kon-
traste in der „Großen Fuge“, die
vom vibratolosen Flüstern bis zu
explosiven Attacken eine gewaltige
Spanne aufreißt. Hier geht das En-
semble immer wieder an die Gren-
zen des traditionellen Schönklangs
- ganz im Sinne von Beethovens
vielleicht verstörendstem Spätwerk,
in dem die Extreme auf die Spitze
getrieben sind. Auch dort finden die
Italiener die richtige Mischung aus
Kontrolle und Hingabe - und för-
dern die existenzielle Dringlichkeit
der Musik zutage.
Marcus Stäbler
MUSIK ★ ★ ★ ★ ★
KLANG ★ ★ ★ ★
148 STEREO 10/2014
★ ★ ★ ★ ★ hervorragend I ★ ★ ★ ★ sehr gut I ★ ★ ★ solide I ★ ★ problem atisch I ★ schlecht
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